Warbsen/Kreuth (zir). In einer Reihe stehen Stefanie Schünemann und ihre Mitkonkurrenten mitsamt Pferden in der Ostbayernhalle in Kreuth in Bayern. Aus den Lautsprechern verkündet der Richter die Platzierungen – angefangen bei Nummer zwölf bis hin zu den Podiumsplätzen. „Bitte keine braune Schleife“, wünscht sich Schünemann gedanklich, denn damit wurden die Plätze sieben bis zwölf ausgezeichnet. Schnell wird klar, dass es eine andersfarbige Schleife wird. Der Wunsch ändert sich: „Bitte nicht der vierte Platz“ – der Platz, den Reiter nicht gerne sehen. Ein farbiges Schleifchen nach dem anderen wird ausgehändigt, bis nur noch drei Teilnehmerinnen übrig sind – Schünemann und ihre beiden Mitkonkurrentinnen. Der Puls steigt, die Nervosität macht sich breit und die Gedanken kreisen wie im Karussell. In einem Punkt ist sie sich jedoch sicher: Den ersten Platz wird sie wohl nicht machen.
Doch als ein weiterer Konkurrent ausscheidet und Schünemann gemeinsam mit Anika Grönemeyer zu zweit auf dem Platz steht, ändert sich ihre Einschätzung nicht. „Anika war deutlich besser als ich“, pocht es in ihrem Kopf. Der Griff um die Zügel wird fester, die Füße wippen in den Steigbügeln und dann ertönt die Stimme des Richters: Der zweite Platz geht an Anika Grönemeyer – und der erste somit an Stefanie Schünemann. Ein fassungsloser Blick geht zum Ehemann, dann zu ihren Schülerinnen: „Die müssen einen Fehler gemacht haben.“ Tränen steigen auf, ein Lächeln breitet sich aus – die Gefühlswelt explodiert. Ungläubig nimmt sie das Buckle (eine Gürtelschnalle) entgegen. Sie und ihr Pferd „Hermine“ sind Deutsche Meister im Western Riding Junior.
Eine unglaubliche Laufbahn
„Der Weg zur Meisterschaft war kein leichter“, blickt Schünemann zurück, wenn sie an Hermine denkt. 2019 erblickte die Stute in Warbsen das Licht der Welt. Als Tochter des Hengstes „Leaguers lil’ Chip“, dem Pferd des Lehrherren Schünemann, kam sie während eines entscheidenden Lebensabschnitts – dem Bau der neuen Reitanlage in Warbsen – zur Welt. „Als Hermine auf die Welt kam, war sie eine kleine Diva – wunderschön, von Anfang an selbstständig und vor allem mutig“, erinnert sich Schünemann. Sofort entstand eine enge Bindung zwischen Pferd und Reiterin.
„Doch wie das Leben so ist, kam es zu finanziellen Schwierigkeiten beim Bau“, erklärt die Deutsche Meisterin. Die Entscheidung fiel schwer, und die einjährige Stute wurde verkauft. „Zum Glück an eine Einstellerin vor Ort“, sagt Schünemann und erzählt, dass sie die Betreuung bis zum zweiten Lebensjahr übernehmen durfte. Doch dann passierte etwas Unerwartetes: Bei einem Unfall riss sich Hermine den Hüfthöcker ab. Es dauerte ein Jahr, bis die Tierärzte die Freigabe zum Reiten gaben. Ob jedoch eine sportliche Karriere möglich war, blieb ungewiss.
Ein weiteres halbes Jahr verging und die Besitzerin entschied, dass Hermine einen anderen Trainer bekommen sollte. Dieser trainierte Hermine, die Besitzerin selbst ritt die Stute kaum. Wenig später entschloss sie sich, die Stute zu verkaufen. Schünemann zögerte nicht und kaufte Hermine zurück. „Dann kümmerten wir uns darum, Hermine wieder aufzupäppeln“, erklärt die Westerntrainerin. Mit einem Team aus Ärzten, Physiotherapeuten, Osteopathen und weiteren Fachleuten wurde Hermine wieder auf die Beine gebracht und turnierfähig gemacht.
Ein erster Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Schon in der vergangenen Turniersaison zeigte Hermine herausragende Leistungen. Der erste große Triumph folgte in diesem Jahr, als Schünemann mit Hermine den Landestitel holte. „Hermine zeigt für ihr Alter schon außergewöhnliche Leistungen, auf die ich als ihre Trainerin unglaublich stolz bin“, sagt Stefanie Schünemann.
Deutsche Meisterin – und nun?
Der Titel hat für die Westernreiterin eine große Bedeutung. „Ich bin unglaublich stolz auf Hermines Leistung. Zu sehen, dass all mein Training zu diesem Moment geführt hat, ist unglaublich. Die Leistung eines Pferdes ist immer tagesformabhängig. Man weiß nie, ob das Pferd in dem Moment das macht, was es soll. Daher kann man sagen: Dass wir die Besten waren, war auch Glück. Umso schöner ist es, dass ich meine Turnierzeit mit Hermine auf diese Weise abschließen konnte“, freut sich die Deutsche Meisterin.
Im Dezember des vergangenen Jahres wurde Hermine verkauft, weshalb es die letzte Turniersaison für Schünemann mit ihr war. Zwar wird sie Hermine weiterhin trainieren, künftig wird das Pferd jedoch von der neuen Besitzerin Nele Schön auf Turnieren geritten.
Nun folgt zunächst eine Winterpause. Ein kleines Turnier soll aber noch stattfinden. „Hier möchte ich für Hermine die Bronzemedaille erwerben, die eine bestimmte Gesamtpunktzahl aller Turniere erfordert“, erklärt Schünemann. Es fehlt lediglich ein Punkt, den die beiden mit Sicherheit noch erreichen werden. Nach dem Turnier soll dann Robby für die German Open vorbereitet werden, um gegebenenfalls den Titel zu verteidigen.
„Ich möchte mich bei meinem Mann bedanken, dass er mir stets den Rücken freihält. Als Profireiterin ist man viel unterwegs. Dass er das alles mitmacht und zu Hause auf dem Reiterhof aushilft, ist nicht selbstverständlich. Außerdem danke ich meinen beiden Schülerinnen Sophie und Chiara, die mich ebenfalls unterstützen und bei der Versorgung der Pferde helfen. Und auch Nele danke ich dafür, dass sie das Vertrauen hatte, Hermine bereitzustellen“, so Schünemann.
Fotos: Schünemann