Stadtoldendorf (rus). Im Ratskeller in Stadtoldendorf wird derzeit umgebaut. Denn hier richtet die gemeinnützige Gesellschaft „Neue Wege, neue Chance“, kurz NWNC, eine neue Einrichtung für ambulant betreutes Wohnen ein. Unter anderem in Göttingen, Einbeck und Uslar ist die Gesellschaft bereits vertreten. Die neue Einrichtung in Stadtoldendorf soll ab Mitte Oktober hilfesuchenden Menschen offen stehen, die hier Anschluss und einen Weg in einen geregelten Alltag finden sollen. Zumeist sind dies Menschen aus sozial schwachen Schichten, seelisch behinderte Menschen oder Personen mit Depressionen sowie nach langer Arbeitslosigkeit, die den Anschluss an ein geregeltes Leben oder die Gesellschaft verloren haben. Auch Menschen mit Suchtproblemen sowie Zwangs- und Persönlichkeitsstörungen sollen hier Hilfe finden. In welchem Umfang, das entscheiden die Menschen aber stets für sich selbst.

Während die meisten Anbieter zu dem betreffenden Personenkreis nach Hause gehen, sie dort betreuen und ihnen bei den vielfältigen Herausforderungen des Alltages helfen, setzt das Team von NWNC auf ein anderes Konzept. „Die Menschen müssen selbst aktiv werden und uns aufsuchen“, sagt Anja Friede. In der Regel können Betroffene einen Antrag beim Landkreis stellen, der die Hilfebedürftigkeit feststellen muss. Aber auch dabei werden sie von NWNC unterstützt.

 

Ratskeller gekauft, jetzt wird er umfangreich umgebaut

In Stadtoldendorf baut die Koordinatorin Anja Friede derzeit das Netzwerk auf, macht Termine mit Handwerkern und kümmert sich um alle Belange als neuer Eigentümer des Ratskellers. Denn den hat die gemeinnützige Gesellschaft gekauft. „Wir mieten in der Regel keine Objekte, sondern investieren nur in eigene Immobilien“, sagt Anja Friede. Im Ratskeller hatte auf Anhieb alles gepasst: „Der Vorbesitzer hatte quasi ein Haus im Haus gebaut und schon viel investiert“, erklärt Friede die intakte Bausubstanz. Zwar seien die historischen Elemente, die Fassade und weitere Teile des früheren Rathauses der Stadt erhalten, im Inneren gibt es aber neue Spannbetondecken, gerade Wände und Böden und Kabelkanäle, die eine größtmögliche Flexibilität bei der Raumgestaltung zulassen. „Wir müssen keine Wände aufstemmen, das ist richtig toll“, freut sich Friede. Und: „Wir sind mit offenen Armen empfangen worden und haben von der Stadt große Unterstützung erfahren“.

Im Eingangsbereich des Ratskellers, vielen ist dieser noch aus früheren Schlecker-Zeiten bekannt, wirkt es gleich beim Betreten des großen Raumes schon hell und freundlich. Der frühere Fliesenboden wurde durch einen hellen Vinyluntergrund ersetzt, die Wände sind weiß, die Deckenplatten wurden gestrichen und fast vollständig wieder eingesetzt. Neue Kabel für Strom und Internet werden derzeit noch verlegt, während man im Gewölbekeller bereits an der späteren Küche arbeitet und einen Stock höher an den dort geplanten Wohnungen. „Über die Wintermonate sollen hier fünf bis sechs Wohneinheiten entstehen“, erklärt Anja Friede das Konzept. Die ehemalige Zahnarztpraxis wird zu Wohnraum umgebaut, eine Art Wohngemeinschaft soll es später werden, die Menschen offen stehen soll, die bei anderen Mietern durch das Raster fallen. „Manche Menschen finden nirgendwo eine Wohnung, wir bieten ihnen hier eine Chance und helfen“, so der Plan. Hier finden jene Menschen eine Bleibe und lernen den Weg zurück in den Alltag.

Café-Ecke, Billard und Begegnung auf rund 300 Quadratmetern

Im späteren Treffpunkt im Erdgeschoss, hier steht eine Fläche von gut 300 Quadratmetern zur Verfügung, sollen neben einer Sitzecke, einem kleinen Café-Bereich und Mini-Kino auch drei Büros entstehen, die durch dünne Wände vom übrigen Raum getrennt sind. Hier stehen später auch der Billardtisch, ein Kicker und viele weitere Annehmlichkeiten, die auch einen längeren Aufenthalt am Tag ermöglichen und diesen so angenehm wie möglich machen sollen. Ziel ist es, einen zwanglosen Treffpunkt zu schaffen, bei dem jeder kommen und gehen kann, wann er möchte. Sanitäre Anlagen und eine kleine Teeküche sind schon vorhanden, während im Untergeschoss, dem urigen Gewölbekeller des Ratskellers, die einstige Gastronomie beispielsweise für Koch-Events oder die eigene Verpflegung genutzt werden soll und derzeit renoviert wird. Es soll später saisonale Angebote geben, etwa zu Ostern oder Weihnachten. Auch für Sport, Zumba oder Fußball gibt es Möglichkeiten, NWNC hat sogar einen eigenen Sportverein dafür.

Zahlreiche Gewerke bauen derzeit den Ratskeller um, alle unter der Anleitung von Anja Friede und Lothar Stapper, der als „Mann für alles“ alle Gewerke im Blick hat und auch seine zwei Schützlinge Enrico und Timo. Die beiden Praktikanten sind derzeit im Projekt PiA (Perspektiven in Arbeit) tätig, das in Kooperation mit dem Jobcenter im Landkreis Northeim durchgeführt wird. Sie dürfen hier in die verschiedenen Gewerke reinschnuppern und für sich selber erfahren, ob einer der vielfältigen Berufe etwas für sie sein könnte. Denn auch das ist eine Hilfestellung, die die Gesellschaft langfristig geben möchte. Bei NWNC freut man sich dazu über eine sehr gute Zusammenarbeit mit den Kooperationsfirmen und auch mit den Jobcentern, mit denen es bereits gelungen ist, Beschäftigungen für mehrere Personen zu schaffen.

„Der Bedarf ist auf jeden Fall da“

„Es ist schön, wenn man sieht, dass sich bei den Menschen etwas verändert und die Lebensqualität gesteigert werden kann“, so Friede. Ihr Job ist alles andere als Routine: „Jeden Tag passiert etwas anderes, neue Menschen, neue Schicksale, neue Herausforderungen“, sagt sie. Für Stadtoldendorf stellt sie gerade das Team zusammen, auch das gehört zu ihren Aufgaben. So wird beispielsweise ein Standortleiter gesucht, der nach Möglichkeit einen sozialpädagogischen Hintergrund hat sowie weitere Helfer. Derzeit beschäftigt „Neue Wege, neue Chancen“ bereits 85 Mitarbeiter an ihren Standorten, darunter Sozialarbeiter, Heilerziehungspfleger, Ergotherapeuten und examinierte Altenpfleger – fast die gesamte Bandbreite an „passenden“ Vorbildungen gilt es zu besetzen. Für Stadtoldendorf ist Friede zuversichtlich, dass schon bald viele Klienten da sein werden. „Der Bedarf ist auf jeden Fall da“, sagt sie.

 

Fotos: rus