Stadtoldendorf (red). Der Musik- und Kulturverein Stadtoldendorf freut sich, am 20. November um 15:30 eine besondere Lesung anbieten zu können: Gertud Keitel aus Vorwohle hat mit ihrem dritten Buch eine beeindruckende Biografie vorgelegt.

Der Titel liest sich wie ein Reisebuch und in gewissem Sinne ist Gertrud Keitels Leben auch eine lange Reise. Aber keine, die sie aus einer Aufbruchsstimmung heraus angetreten hat, keine Vergnügungsreise, die man vorher hätte planen können. Nein, ihre Reise begann jäh und unfreiwillig. Geboren wurde die Autorin 1939 in einem Dorf am Riesengebirge. Im Sudetenland, einer Grenzregion in der Polen, Tschechen und Deutsche gut nachbarlich zusammengelebt hatten, bis Hitler sich die ganze Region einverleibte.

Sein „Reichsprotektor“ Reinhard Heydrich herrschte dort mit Gewalt, besonders gegen die slawischen Nachbarn. Nach Kriegsende drehte sich der Wind und die ungeliebten Deutschen wurden aus ihren Dörfern und Städten vertrieben. Gertrud war gut sechs Jahre alt, als sie mit ihren Eltern Haus und Heimat verlassen musste. Mit klarer Sprache schildert sie ihre Odyssee, verzichtet auf gefühliges Beiwerk, und eine moralische Bewertung überlässt sie dem Leser. Doch nicht nur der leicht lesbare, unaufdringliche Stil macht dieses Buch so lesenswert. Um die damalige Lebenssituation der heutigen Leserschaft verständlich zu machen, holt sie weit aus bis in das Leben ihrer Großeltern.

So entsteht quasi nebenbei ein historisches  Panorama des 20. Jahrhunderts. Nach wochenlangem Ausharren in eiskalten und engen Eisenbahnwaggons landet die Familie schließlich in Hessen und wird dort einem Bauernhof zugeteilt. Die Flüchtlinge waren keineswegs willkommen und mussten sich ihren Platz im neuen Leben hart erarbeiten. Gertrud wurde eine gute und fleißige Schülerin, doch ihr großer Wunsch, als Krankenschwester nach Afrika zu gehen, blieb ihr verwehrt. Die Mädchen hatten sich nach den Gegebenheiten und den Wünschen der Eltern zu richten, für Träume war da wenig Platz. So erlernt sie schließlich die Hauswirtschaft. In einer Internatskantine lernt sie ihren späteren Mann kennen. Das junge Paar landet vorübergehend im Schwarzwald, ehe es gilt, das Sägewerk der Eltern in Lenne zu übernehmen. So zog die junge Familie nach Niedersachsen. Doch auch hier verlief das Leben alles andere als geradlinig.

Das Sägewerk musste aufgegeben werden, mehrfach fingen Keitels beruflich von vorne an. Mit über 50 Jahren schult Gertrud noch einmal um, macht sich als Fußpflegerin selbstständig und arbeitet weit über das Rentenalter hinaus. Heute leben Keitels in einem renovierten Fachwerkhaus mit stattlichem Garten und können endlich die Früchte ihres harten Lebens genießen. Ihre Erlebnisse als Fußpflegerin hat Gertrud Keitel in dem  Sammelband „Heim-wärts mit Humor“ einem breiteren Publikum zugänglich gemacht, in ihrem zweiten Buch „Pflaumenknödel und Hähnekrähen“ geht sie erstmals weiter zurück in ihr Leben. Mit dem Titel „Von der Schneekoppe ins Weserbergland“ rundet sie nun ihre Lebensgeschichte ab. Alle ihre Werke erscheinen im Fabuloso Verlag Gudrun Strüber, Bilshausen. Für ältere Menschen eine unterhaltsame Rückschau ins eigene Leben, für jüngere Generationen eine anregende Lektüre, die auf einfühlsame Weise erzählt, wie aus den Trümmern und dem Leid des 20. Jahrhunderts ein Leben in Freiheit und Wohlstand geschaffen wurde.

Im Rahmen einer Lesung stellt Gertrud Keitel nun ihr Werk im Alten Rathaus vor. In der Pause und im Anschluss an die Lesung haben die Gäste auch Gelegenheit, bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Sekt mit der Autorin zu plaudern.

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