Höxter/Tulcea (red). Der zweite Hilfstransport des Christlichen Hilfsvereins Wismar ist zurück von der rumänisch-ukrainischen Grenze. Tim Probsthain aus Höxter war zum zweiten Mal dabei. Jetzt wohnen bei ihm zu Hause Lena und ihre beiden Töchter Daria und Anastasia. Die Familie stammt aus Odessa. Der Mann bzw. Vater ist noch in der Stadt am Schwarzen Meer und hilft dort, die Frontlinie mit Material, Waffen, Lebensmitteln und Verbandszeug zu versorgen. Tim Probsthain: "Sie haben jeden Tag Kontakt zu ihm." Am Mittwoch seien in der Nachbarschaft Raketen eingeschlagen. "Häuser wurden zerstört. Es ist emotional sehr schwierig. Aber die Familie bedankt sich sehr für die Hilfe, die wir mit dem Hilfstransport geleistet haben", sagt Tim Probsthain aus Höxter, der sich auch im Vorstand des Christlichen Hilfsvereins engagiert.

Ehrenamtliche Helfer waren neun Tage für den CHW unterwegs. „Wir haben Hilfsgüter für die Menschen im Kriegsgebiet hingefahren und wollen Menschen, die auf der Flucht sind, eine sichere und friedliche Zukunft ermöglichen“, sagt CHW-Chef Frieder Weinhold. Der Verein, der wie kein zweiter für die Albanienhilfe steht, hat die Augen vor den Folgen des Putin-Krieges nicht verschlossen und hilft spontan einige hundert Kilometer weiter östlich. Sechs Autos und elf Helfer legten in den Tagen über 4000 Kilometer zurück. Schiffbauer, Pastor, Trendforscher, Ordnungsamtsleiter, Tischler, IT-Spezialist, ein albanischer Unternehmer, ein Reporter – alle eint der Wille, in kriegerischen Zeiten das Leid etwas zu lindern. Für alle ist die Tour eine emotionale Achterbahnfahrt. „Wir können die Welt nicht verändern, aber wir können sie etwas besser machen“, sagt Frank Brosig. Erstes Ziel nach täglich stundenlangen Autofahrten war Tulcea im Südosten von Rumänien. Hier werden die Hilfsgüter in ein Verteilzentrum gebracht: Fast 400 Pakete mit Lebensmitteln, Schlafsäcken, Isomatten, Essen, Medikamenten, Hygieneartikeln. „Wir haben Sachen im Wert von 20000 Euro herunter gebracht. Unser Dank gilt allen, die den Transport mit Sach- und Geldspenden unterstützt haben“, so Tim Probsthain. Seine Motivation: „Wir verlassen unsere Komfortzone und wollen helfen.“

Das möchte auch sein Mitfahrer Dr. Dag Piper. Der Trendforscher berät unter anderem Unternehmen. „Der CHW ist eine kleine Hilfsorganisation, die Spender wissen, dass das Geld da ankommt, wo es gebraucht wird“, so Piper. Von der Hafenstadt Tulcea am Donaudelta werden die Hilfsgüter in die wenige Kilometer entfernte Ukraine gebracht. Das Team des CHW fuhr weiter zum rumänisch-ukrainischen Grenzort Isaccea. Mit der Fähre gelangen die Flüchtlinge über die Donau an das sichere Flussufer. Wer hier ankommt, hinter dem liegen die Folgen des Krieges: Angst, Luftschutzkeller, zerstörte Häuser, zerrissene Familien, Opfer des Krieges. In einem Zelt werden die Menschen betreut und registriert. Wer Zuflucht sucht, bleibt in Rumänien oder möchte zum Beispiel nach Deutschland. So wie Svetlana und ihre vier Kinder aus Odessa. Am Morgen ist die Familie mit der Fähre in Isaccea angekommen und wird einige Kilometer weiter in der Stadt Galati von einer Kirchengemeinde betreut. Derweil glühen die Drähte der Helferteams.

Schließlich werden fünf Ukrainer über Rumänien, Ungarn, der Slowakei und Tschechei nach Nordrhein-Westfalen mitgenommen, sechs bis nach Wismar, fünf werden in Leipzig in den Zug nach Nürnberg gesetzt, wo sie von Angehörigen empfangen und nach Wüstenrot (Baden-Württemberg) mitgenommen werden. Svetlana sieht abgekämpft und ängstlich aus, als sie mit ihren Kindern ins Auto steigt. Zwei fremden Männern vertraut sie sich an. Im Auto herrscht auf den ersten Kilometern angespannte Ruhe. Die Kinder sind still. Englisch und Deutsch funktionieren nicht als Verständigung. Ein paar Brocken Russisch lassen das Eis zwar etwas tauen, doch wirklich weiter hilft nur der Google-Übersetzer. Das ist zwar mühselig, aber es funktioniert. Pause nach 200 Kilometern. Wir reichen ein paar Süßigkeiten, Svetlana holt aus ihren Tüten abgekochte Eier, Brot und Wurst. Sie versorgt ihre Kinder, und ihre Kinder reichen uns Wurststullen und Eier. So kommen wir uns näher. Das Vertrauen wächst mit jedem Kilometer, mit jedem Tag. „Ich heiße Maxim, ich bin 13 Jahre alt, ich spiele gerne Fußball.“ Wir lernen auf den langen Autofahrten ein paar Vokabeln, zählen bis zehn, lachen, planen die nächsten Tage. Der Wismarer Frank Brosig nimmt unterwegs Kontakt mit dem Ordnungsamt des Landeskreises Nordwestmecklenburg (Mecklenburg-Vorpommern) auf, berichtet, dass sechs Flüchtlinge nach Wismar kommen. „Wo können wir sie am Freitag unterbringen? Ist in einem der Hotels die Möglichkeit der Erstaufnahme?“ Die Antwort kommt prompt: „Schön zu hören, dass die Tour soweit erfolgreich war. Die Möglichkeit der Unterbringung besteht.“

Das beruhigt Viktoriya. Die Mutter sitzt mit ihren Kindern Venjamin (10) und Milana (5) im Transporter von Nils Zeyher. Der Wismarer ist gelernter Schiffbauer. Er bekommt mit, dass sich Viktoriya unterwegs ein Video mit ihrem zerstörten Haus ansieht. „Da wird mir ganz anders. Zum Glück sind sie jetzt bei uns Auto. Du musst dich nur wundern, wie stark die Frau ist, sie lässt sich ihre Sorgen gegenüber den Kindern nicht anmerken.“ Viktoriya und ihre Kinder mussten in Nikolaev den Krieg erleben. „Wir haben neun Luftangriffe überlebt, ich habe fünf Tage mit den Kindern im Keller gelebt, meine Wohnung ist zerstört.“ Die 36-jährige Mutter ist Klavierlehrerin und hat in einem Kindergarten gearbeitet. Weiter schildert sie: „Wir hatten kein Gas, keinen Strom und kein Wasser. Wasser haben wir aus dem Fluss geholt und dann über einem Feuer erhitzt. Nachts gab es starke Explosionen, mein Nachbar wurde von einer Bombe in Stücke gerissen.“ Der letzte Tag der Hilfstour: In Leipzig setzt sich gleich der Zug mit Svetlana und ihren vier Kindern in Bewegung. Am Abend zuvor haben ihre Söhne Maxim (13) und Mycola (11) für die Helfer auf der Geige gespielt. Gänsehaut, was für ein Moment. „Die Familie ist uns ans Herz gewachsen“, sagt Heiko Hoffmann, der die Tour als Helfer begleitet hat. Beim Abschied sitzt ihm ein dicker Kloß im Hals. Svetlana blickt jetzt zuversichtlicher, ist dankbar für die Hilfe. Der IC setzt sich in Bewegung. Hoffentlich geht es in eine sichere Zukunft. Der Weg von der Ukraine nach Deutschland ist die Sache. Jetzt geht um die Integration. Sprachkurs, Schule und Kindergarten zählen zu den ersten Schritten auf diesem Weg.

Foto: CHW