Lenne/Stadtoldendorf (rus). Es ist ein später Samstagabend in Stadtoldendorf und im privaten Arbeitszimmer von Wolfgang Anders klappert noch die Tastatur. Wie an vielen Abenden und Wochenenden schreibt er an „seiner“ Chronik für die Gemeinde Lenne. Wenn sie fertig ist, wird sie voraussichtlich über 600 Seiten stark sein.

Für den Blickpunkt und die Weser-Ith News hat der Hobby-Historiker, hauptberuflich als Samtgemeindebürgermeister den meisten bekannt, nun einen exklusiven Einblick in die Chronik gegeben, die bereits seit Ende 2020 fertiggestellt ist. „Ich warte nur noch auf die Ablichtung einer Original-Urkunde“, erklärt Anders, danach können die Exemplare zur Druckerei. Bis sie vorliegen, wird es also noch eine Weile dauern. Voraussichtlich bis zum Spätsommer soll die Chronik der Gemeinde Lenne dann druckfrisch erhältlich sein.

In Hochzeiten hatte Lenne 1.569 Einwohner

Das fertige Werk soll dann tiefe Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Dorfes geben, das heute rund 650 Einwohner hat. „In Hochzeiten nach dem Zweiten Weltkrieg waren es sogar mal 1.569 Einwohner, der absolute Spitzenwert“, stellt Wolfgang Anders heraus. Die Chronik beschreibt sowohl die Blütezeiten wie auch die schweren Zeiten der Gemeinde, etwa als Lenne eine große Auswandererwelle erfasste, in denen viele aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen waren, ihre geliebte Heimat zu verlassen. Oder es geht noch weiter zurück bis zum 25. August 1850, als die Cholera in Lenne ausbrach und ihr innerhalb von nur zwei Monaten 53 Tote und damit rund zehn Prozent der Gesamtbevölkerung zum Opfer fielen. Einschneidende Ereignisse in Lenne waren etwa auch die General- und Spezial-Separation, also die Neuordnung der Feldmark Lenne, die 1895 abgeschlossen war und zu völlig neuen Besitzverhältnissen führte.

Auch das Lenner Lager, das heute teils kulturhistorisch aufgearbeitet und damit auch wieder „greifbar“ gemacht wurde, spielt eine Rolle. Auf rund 70 Seiten geht es daneben allein nur um die Lenner Vereinswelt, darunter die Feuerwehr und den TSV, und auch einen aktuellen Abschnitt gibt es, in denen Lenne bis in die heutige Zeit beschrieben wird. Daneben tauchen die ältesten Namen der Dorfgeschichte auf, es gibt Einblicke in die Früh- und Kirchengeschichte, Informationen über die zahlreichen Wüstungen rund um das Dorf, zu früheren Bürgermeistern und Gemeinderäten, viele Anekdoten und Berichte von Zeitzeugen sowie natürlich eine stattliche Anzahl an Fotos, die Lenne in seinen frühen Jahren auf Postkarten und auf privaten Fotoaufnahmen zeigen. Eine kleine Auswahl davon haben wir bereits in diesem Blickpunkt abgedruckt. „Es war mir wichtig, mit vielen Menschen zu sprechen und auch Geschichten abseits zu betrachten“, erklärt Wolfgang Anders. Herausgekommen sind interessante Stories und tiefe Einblicke in die Dorfgeschichte, wie unter anderem auch rund um den Sandabbau in Lenne.



„Porzellanerde“ aus Lenne für die Porzellanmanufaktur Fürstenberg

Denn Lenne hatte sich mit seinem Sandvorkommen einst einen überregionalen Namen gemacht. Der seinerzeit auch als „Porzellanerde“ betitelte Rohstoff kam hier an gleich mehreren Orten natürlich vor und wurde seit dem 16. Jahrhundert genutzt. „Bis dorthin lassen sich zumindest die ersten Hinweise zurückverfolgen“, erklärt Anders. Der Sand aus Lenne war der Rohstoff, der für die Herstellung von Porzellan benötigt wurde und im damaligen Herzogtum Braunschweig eine echte Seltenheit und damit kostbar. So nutzte man ab 1753 den Lenner Sand in der Porzellanmanufaktur Fürstenberg für die Herstellungs-prozesse und damit bereits in frühen Jahren (gegründet wurde die Manu-faktur erst wenige Jahre zuvor im Jahr 1747). Doch nicht nur Fürstenberg erhielt den Lenner Rohstoff, auch in der Eisenhütte in Delligsen oder zur Glasherstellung in Grünenplan wurde er genutzt. Ganz ungefährlich war der Sandabbau für die vielen Arbeiter in den Sandgruben allerdings nicht: „Es kam infolge von Verwerfungen und Einstürzen immer wieder zu schweren Unfällen“, wie Anders herausfand.

Doch nicht nur für den Sand zeigte sich Lenne bekannt, auch für eine beeindruckende Industriegeschichte, die man einer kleinen Gemeinde, wie sie Lenne heute ist, nicht unbedingt zugetraut hätte. Große Werke der Industrie waren etwa ein großes Sägewerk, ein Asphaltwerk mit rund 100 Mitarbeitern und eine Zementfabrik in Lenne-Vorwohle an der heutigen Bundesstraße, die zu ihren Höhepunkten vor dem Zweiten Weltkrieg stolze 560 Beschäftigte vorzuweisen hatte. Von alledem ist aber heute (fast) nichts mehr übrig. 1968 wurde der Betrieb endgültig eingestellt und bis heute die übrig gebliebenen Gebäude weitgehend rückgebaut.

Lenner Gemeinderat hatte Wolfgang Anders das Vertrauen ausgesprochen

Und so geraten diese und jene Erinnerungen, die womöglich nur noch in den Köpfen der ältesten Einwohner von Lenne hängen, allmählich in Vergessenheit. Auch aus diesem Grund erfolgte bereits im Juli 2005 der Ratsbeschluss in Lenne, dass für die Gemeinde eine Chronik erstellt werden sollte. Schließlich sprach man Wolfgang Anders das Vertrauen aus und beauftragte ihn mit der Erstellung. Es folgten nunmehr 16 Jahre, die für die Datensammlung, Befragung von Zeitzeugen, Recherche in Registern, (Staats)Archiven, und in privaten Sammlungen benötigt wurden, um das endgültige Werk zu erstellen. Doch Anders hätte den Auftrag auch nicht angenommen, hätte er nicht ohnehin ein großes Interesse an der Historie. Gut ein Jahr vor der Beauftragung durch den Lenner Gemeinderat war die Chronik der Gemeinde Wangelnstedt und ihrer Ortsteile erschienen, das erste derartige Werk von Wolfgang Anders und für Lenne eine handfeste Referenz. „Ich hatte immer schon ein großes Interesse für Regionalgeschichte“, beschreibt Wolfgang Anders seinen Freizeitausgleich. Wochenenden, Urlaube und damit unzählige Stunden der Freizeit widmete er dem Schreiben.

Ein Rätsel bleibt bis zum Schluss

„Ein Rätsel ist aber nach wie vor das genaue Gründungsdatum der Gemeinde Lenne“, erklärt Wolfgang Anders. Dazu habe er trotz intensiver Forschung keine Nachweise mehr finden können. „Ungefähr 1380 und damit am Ende des 14. Jahr-hunderts finden sich die ältesten Hinweise auf Lenne“, so Anders. Eine Gründungsurkunde etwa ließ sich nicht mehr auffinden. Fest steht aber dennoch, dass Lenne wohl mindestens 650 Jahre alt sein dürfte.

Interessierte können sich bei der Gemeinde Lenne melden Interessierte, die ein oder mehrere Exemplare der neuen Chronik ergattern wollen, können sich ab sofort bei der Gemeinde Lenne unter den Rufnummern 05532 3176 oder 0170 92 66 669 melden und unverbindlich auf eine Liste setzen lassen. „Das erleichtert uns die Planung“, so Hans-Dieter Steenbock, Bürgermeister der Gemeinde Lenne, der sich schon auf das erste Druckexemplar freut. Ein genauer Preis und der letztendliche Umfang stehen allerdings noch nicht final fest, wohl aber eines ganz sicher: Es wird ein tiefer und umfassender Einblick in die Historie der Gemeinde Lenne und teils auch darüber hinaus werden.

Fotos: Anders, rus, airfahrung.de