Landkreis Holzminden (red). Die Digitalisierung beeinflusst fast alle Bereiche des heutigen Lebens von der Face-ID des Smartphones bis zur digitalen Armbanduhr. Und auch vor dem Auto macht sie nicht Halt. Viele neue Gadgets und Funktionen bereiten die Ära des autonomen Fahrens vor. Diese Entwicklungen beeinflussen nicht nur das Fahrzeug direkt, sondern auch die zukünftigen Prüfverfahren. Andreas Röll, Leiter der TÜV NORD-Station Holzminden, gibt einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen. 

Die Digitalisierung des Autos startete Ende der Siebzigerjahre mit der Einführung des Antiblockiersystems (ABS) und der Antriebsschlupfregelung (ASR). Von da an stieg der Grad der Digitalisierung, sodass die heutigen Fahrzeuge eine Vielzahl an automatischen Fahrfunktionen anbieten können. „Mittlerweile werden immer komplexere Daten durch Sensoren erfasst und analysiert, um diese Erkenntnisse für verschiedene Funktionen zu nutzen“, so der Stationsleiter. Schon heute ist es etwa möglich, dass sich das Auto bestimmte Verhaltensmuster merkt. Fährt man beispielsweise immer zur gleichen Zeit eine bestimmte Strecke, speichert das Fahrzeug diese Information und schlägt den Weg beim nächsten Mal selbstständig vor. 

Das prominenteste Thema in Bezug auf die Mobilität der Zukunft ist nach wie vor das autonome Fahren. Die Basis für selbstfahrende Autos schafft die künstliche Intelligenz (KI), denn Fahrzeuge der Zukunft müssen in der Lage sein, selbstständig Entscheidungen zu treffen und sichere Handlungen abzuleiten. Dies ist nur auf Basis von zuverlässigen Daten und genauen Umgebungsinformationen möglich. Hier sind die Ansprüche an die benötigten Umgebungssensoren und Algorithmen zur Objekterkennung hoch: Sie dürfen sich nicht durch äußere Einflüsse wie Regen oder Nebel beeinflussen lassen und müssen selbst in den schwierigsten Verkehrssituationen zuverlässig arbeiten. Doch eine exakte Erfassung der aktuellen Fahrsituation allein reicht nicht aus. Ein selbstfahrendes Fahrzeug muss auch vorausschauend agieren können. Dazu sind weitere Daten nötig, die die an Bord vorhandenen Sensoren aufgrund von physikalischen Grenzen nicht immer zur Verfügung stellen können. Das selbstfahrende Fahrzeug muss aber zum Beispiel bei hohen Geschwindigkeiten entsprechend weite Teile der Strecke erfassen können. Je nach Streckenführung ist es außerdem hilfreich und notwendig über eventuelle Gefahren informiert zu werden. 

Hier ist ein weiterer Schritt nötig, das vernetzte Fahren. Die Car2X-Kommunikation, bei der das Fahrzeug mit der Umwelt über ein Nachrichtennetzwerk kommuniziert und sich im ständigen Austausch mit der Infrastruktur bzw. mit anderen Verkehrsteilnehmern befindet, hilft dabei weitere wichtige Umgebungs- und Situationsdaten dem selbstfahrenden Fahrzeug zur Verfügung zu stellen. So soll beispielsweise ermöglicht werden, Umgebungs- und Verkehrsdaten, die von an der Strecke installierten Roadside Units und von anderen Fahrzeugen gemessen wurden, für die Routenplanung und Umleitungsdetektion zu nutzen. Dazu der TÜV-Experte: „Über standardisierte Car2X-Nachrichten können aktuelle Informationen z.B. über ein Stauende übermittelt werden. Auf diese Weise werden Gefahren minimiert und ein stetiger Verkehrsfluss ermöglicht.“ 

Um diese Vision wahr werden zu lassen, sind jedoch viele Zwischenschritte nötig, damit der Fahrer vollständig ersetzt werden kann. Dazu wird die Fahraufgabe in mehrere Phasen aufgeteilt. Ein Beispiel für die schrittweise Automatisierung der Fahraufgabe ist der Spurwechselassistent. Hierbei werden Fahrassistenz Lenkanlagen eingesetzt, die die Fahrerin oder den Fahrer unterstützen, jedoch nicht die alleinige Führung des Fahrzeugs übernehmen. Aktuell ist diese Hilfestellung schon beim selbstständigen Einparken bis 10 km/h und bei der Spurhaltefunktion im privat genutzten Pkw zu beobachten. Derzeit ist die Spurwechselfunktion noch nicht für den urbanen Verkehrsraum konzipiert, da es noch eine zweispurige Straße mit räumlicher Trennung zur entgegengesetzten Fahrbahn zur Orientierung benötigt. „Grundsätzlich muss man eine Hand am Lenkrad halten, während die Elektronik die Fahraufgabe übernimmt“, so Röll. „Indem das Auto eine durchgehende Überwachung der Quer- und Längsführung verlangt, wird sichergestellt, dass im Bedarfsfall in die Steuerung eingegriffen werden kann.“ Soll die Spur gewechselt werden, wird der Fahrtrichtungsanzeiger durch den Fahrer aktiviert. Innerhalb von maximal fünf Sekunden überprüft das System, ob ein solcher Spurwechsel möglich ist. Bestehen keine Bedenken, führt das System das Fahrzeug eigenständig an die Mittellinie und vollzieht den Spurwechsel. Im Anschluss daran wird der Wagen wieder in die Spurhaltefunktion überführt und der Fahrtrichtungsanzeiger selbstständig deaktiviert. 

Bei einem als kritisch eingestuften Manöver, wird der Fahrer mittels optischer, akustischer oder haptischer Anzeige darauf hingewiesen. Andreas Röll ergänzt: „Durch fehlende Fahrbahnmarkierungen, witterungsbedingte Sensorblindheit oder Missachtung der Verkehrsregeln stößt das System an seine Grenzen. In diesen Fällen wird der Vorgang nicht durchgeführt.“ Ebenso stellt das System sicher, dass weder die zeitlichen Abläufe überschritten, noch sich nähernde Fahrzeuge behindert werden. Grundsätzlich müssen all diese Systeme vor Manipulation geschützt sein. „Für uns bei TÜV NORD steht natürlich immer die Sicherheit im Fokus“, führt Andreas Röll aus. „Deshalb arbeiten wir kontinuierlich daran, Verfahren zur Prüfung der neuen Systeme zu entwickeln. Die Weiterentwicklung muss Schritt halten können mit der Entwicklung neuer Technik und Produkte.“ Mit seinem Institut für Fahrzeugtechnik und Mobilität (IFM) ist TÜV NORD bereits von der Forschung an entwicklungsbegleitend tätig, um entsprechende Prüfungsregularien zur Verfügung zu stellen. Diese werden zur größtmöglichen Gewährung von Sicherheit über bestehende Vorschriften hinaus neu entwickelt und betreffen umfangreiche Anpassungen der EG (Europäische Gemeinschaft)- und ECE (Economic Commission for Europe)-Vorschriften, des Straßenverkehrsgesetzes, der Straßenverkehrsordnung, der Produkt- und Halterhaftung und auch des Fahrerlaubnisrechts. 

Bei Funktionen wie dem Spurwechselassistent, der sich aus mehreren Komponenten zusammensetzen, besteht die Herausforderung der Prüfung darin, dass alle beteiligten Regelwerke zusammengefasst werden müssen. Für einen Praxistest müssen darüber hinaus das Prüffahrzeug und die sich annähernden Fahrzeuge mit mobiler Messtechnik ausgestattet sein. Auf diese Weise kann die einwandfreie Kommunikation zwischen den Fahrzeugen verifiziert oder auch falsifiziert werden. Das IFM konnte bereits Erfahrungen bei der Messung dieser Abläufe sammeln. Messtechniken für die internen Prozesse des Fahrzeugs (InCar) oder die Kommunikation mit der Außenwelt (Car2X) sind heute schon etabliert. „Im Rahmen der nationalen Genehmigungsverfahren ist es bereits möglich, hochautomatisierte Fahrzeuge zu prüfen und mit Sondergenehmigungen zuzulassen“, weiß der TÜV-Experte. Sogenannte People-Mover sind ein solches Beispiel. Sie werden in Forschungsprojekten als kleine Shuttle-Busse zur Personenbeförderung im urbanen Raum auf Teststrecken eingesetzt und zeigen eindrucksvoll, wie fahrerlose Fahrzeuge in der Zukunft genutzt werden können. 

Neben diesen sind zukünftig zahlreiche weitere Entwicklungen im Bereich der Mobilität zu erwarten, die zu einer fortschreitenden Automatisierung führen. Im gleichen Zuge gehen sie mit der Notwendigkeit einher, neue Regularien festzumachen sowie die Prüfungen weiterzuentwickeln und anzupassen.

Fotos: TÜV Nord/Pixabay