Stadtoldendorf (rus). Es ist ein sonniger Tag im Herbst, als Jens Meier für den Blickpunkt das Tor des jüdischen Friedhofes in Stadtoldendorf öffnet. Es herrscht fast absolute Stille auf dem Gelände, als würde der Geist so manch eines Verstorbenen noch über den Gräbern schweben. Fast nirgendwo anders befindet sich Stadtgeschichte so konzentriert, wie auf dem jüdischen Friedhof an der Deenser Straße. Heute zentral und dennoch versteckt gibt es den Friedhof an dieser Stelle bereits seit 1815 und damit seit über 200 Jahren. Früher teilte man oftmals brachliegende Flächen außerhalb der Stadtgrenzen den Juden zu, weshalb sich dieser Friedhof vermutlich so weit außerhalb befindet. Heute ist er längst durch die Bebauung weiter ins Zentrum gerückt. Gegründet hat ihn Ephraim Rothschild, der auch seinerzeit der jüdischen Gemeinde vorstand.

Die Geschichte der Juden ist besonders mit der Historie der Stadt eng verbunden. Noch heute sind zahlreiche Spuren ihres Wirkens sichtbar. Da sei zum einen die Stiftung des Charlottenstiftes erwähnt, die von dem Geh. Kommerzienrat Max Levy ins Leben gerufen wurde oder auch der Kellbergturm, den Oscar Wolf einst nach einem Vorbild des Eifelturmes baute. Auch zahlreiche Villen, die ehemalige Weberei, Gips- und Sandsteinwerke, ein Kindergarten und viele weitere sind noch heute Relikte einer längst vergangenen und für viele auch vergessenen Zeit, die durch jüdische Mitbürger teils nachhaltig geprägt wurde. Einige Juden, zumeist die etwas kapitalkräftigeren, waren maßgeblich am Wachsen Stadtoldendorfs beteiligt. Im Jahre 1895 lebten mit 83 Personen die meisten Juden in Stadtoldendorf. Namen wie Rothschild, Wolff, Frank, Löwenstein, Rosenhain, Wallhausen oder Matzdorf sind hier zwar längst verschwunden, ihre Nachfahren jedoch überall auf der Welt verteilt. Nur meist nicht mehr in Deutschland.

Denn jeder kennt die dunkle Geschichte des Zweiten Weltkrieges und die damit verbundenen Taten, die jüdische Mitbürger zum Ziel hatten. Wer es rechtzeitig schaffte, reiste aus oder hoffte anderweitig auf sein Glück. Auch in Stadtoldendorf wurde zugeschlagen, mit Deportierungen in jüdische Arbeitslager, Ausweisungen und auch mit der Plünderung von Geschäften und der Schändung der ehemaligen Synagoge in der Reichspogromnacht. Neben dem heute dort noch stehenden Gedenkstein und dem Platz herum, der erst vor wenigen Jahren als Ephraim Rothschild-Platz betitelt wurde, ist der jüdische Friedhof – mit Ausnahme von 32 Stolpersteinen im Stadtgebiet – die letzte Erinnerungsstätte an damalige Persönlichkeiten.

Der Stadtoldendorfer Jens Meier hat sich die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte von Stadtoldendorf zur Aufgabe gemacht und im Laufe der Jahre viel recherchiert. Er möchte den Verlust und das Schicksal der Opfer bewusst machen, darüber aufklären und mahnend erinnern. Vom jüdischen Friedhof hat er einen Lageplan, weiß über viele Persönlichkeiten etwas zu berichten. Die letzte Grabstelle hier ist von 1936. Später war es nicht mehr möglich, hier beerdigt zu werden. Den Opfern des Holocaustes lassen sich kaum Gräber zuordnen. Insgesamt 73 Juden zwischen 1816 und 1936 fanden auf dem knapp 1.000 Quadratmeter großen Areal ihre letzte Ruhestätte, 51 Grabsteine sind noch vorhanden. Einfach Leute sowie auch Großindustrielle, die mit heutzutage teils pompös anmutenden Grabstellen ausgestattet sind, was einmal mehr den großen Verlust bezeugen dürfte. Einige der Gräber sind zweisprachig beschriftet und tragen neben deutschen auch hebräische Inschriften, so wurde es zumindest bis ins Jahr 1900 gemacht. Das Besondere bei jüdischen Gräbern ist, dass es für die Toten in der Regel einen Ewigkeitsanspruch gibt. Während anderenorts Gräber meist nach dreißig Jahren eingeebnet werden und dadurch der Verstorbene endgültig in Vergessenheit gerät, dürfen die Gräber hier ewig bestehen bleiben. Zumindest so lange, wie es den Friedhof gibt. Und so befinden sich auf dem jüdischen Friedhof auch sehr alte Grabstellen, der älteste Grabstein, Mirjam Rothschild, geb. Berg, datiert von 1816.

Der Friedhof war früher durch eine große Hecke rundherum geschützt und nur schwer einsehbar, vermutlich auch deshalb hat er die Kriegsjahre so gut überstanden und gilt heute im Grunde als eine gut erhaltene Gedenkstätte. So bestätigen es zumindest Nachfahren und Interessierte, die im Laufe der Zeit den Friedhof besuchten. Lediglich drei Grabstellen wurden in der Nazi-Zeit geschändet. Den Tätern kam man allerdings auf die Spur und sie wurden bestraft. Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Friedhof im Auftrag der Stadt wieder instandgesetzt, während man die Kosten von den Grabschändern einforderte. Weitere Instandsetzungen schlossen sich in den Folgejahren an.

Noch zu Kriegszeiten, im Jahre 1942, wäre der Friedhof allerdings fast eingeebnet worden. Jüdische Grundbesitze mussten seinerzeit auf Drängen der Gestapo veräußert werden und so musste der damalige Landesverband auch den Friedhof zum Verkauf anbieten. Interesse zeigte gerade die damalige Weberei, dessen Eigentümer Kübler mit dem Gedanken spielte, auf dem Gelände eine Pausenhalle für seine Mitarbeiter zu errichten. Zu einem Verkauf kam es jedoch nicht, was den Friedhof schließlich bewahrte. Der Friedhof ist heute im Besitz des Jüdischen Landesverbandes aus Hannover, die Stadt Stadtoldendorf kümmert sich um die Pflege, mäht den Rasen und sorgt für Ordnung an der letzten Ruhestätte der insgesamt 73 Juden, die hier begraben wurden. Interessierten gibt Jens Meier gerne einen Einblick.

Fotos: rus, Archiv