Holzminden (red). „Kinderschutz ist nicht immer einfach, ich bin manchmal selbst überfordert, wenn ich einen Verdacht habe.“ Das freimütige Eingeständnis eigener Unsicherheit kam von keiner Unberufenen. Dabei darf die Holzmindener Kinderärztin Sigrid Nowka sicher als Expertin gelten, wenn es um das Erkennen typischer Merkmale für eine Kindesmisshandlung geht. Doch bei Verletzungen von Kindern zwischen „normalen“ Alltagsunfällen und eben nicht normaler Fremdeinwirkung zu unterscheiden, ist selbst für erfahrene Mediziner*innen gar nicht so einfach. Was ernstzunehmende Hinweise sind und wo und in welcher Form sich im Verdachtsfall professionelle Beratung geholt werden kann, war zentrales Thema einer Fachtagung zur Kindeswohlgefährdung, zu der die Netzwerkkoordination „Frühen Hilfen“ des Landkreises Holzminden ins Gasthaus Mittendorf nach Buchhagen eingeladen hatte. Eine Veranstaltung, die den Fachbesuchern wertvolle Tipps und Informationen mit an die Hand gab.   

„Kinderschutz im Landkreis Holzminden gemeinsam gestalten - Kooperationen Gesundheitswesen und Frühen Hilfen“ lautete das Motto der Tagung, bei der sich die Akteur*innen aus unterschiedlichen, mit dem Kindeswohl befassten Bereichen trafen, um neben dem Austausch auch zwei Vorträge anzuhören und in vier unterschiedlichen Workshops den professionellen Umgang mit einer potentiellen Kindeswohlgefährdung zu schulen. Wie wichtig die Netzwerkarbeit in diesem Zusammenhang ist, machte gleich zu Beginn der Veranstaltung Jugendamtsleiterin Barbara Fahncke deutlich. Fahncke machte auf die mittlerweile verbesserten rechtlichen Möglichkeiten aufmerksam, sah andererseits aber auch noch Defizite. „Es fehlt immer noch an einer Meldepflicht beim Verdacht von Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung“, monierte Fahncke, der Datenschutz gehe da noch immer vor dem Kindeswohl.

Eine Auffassung, die die Hauptdozentin der Veranstaltung nicht unbedingt teilte.  Professorin Anette Debertin von der Medizinischen Hochschule Hannover warnte vor all zu viel Fehldiagnosen, die gefährliche Konsequenzen nach sich zögen. Die Anzahl der Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlungen sei angesichts einer geschätzten Dunkelziffer von mehr als einer Million betroffener Kinder erheblich, unterstrich die Rechtsmedizinerin. Wichtig bleibe dennoch, schon im Vorfeld die tatsächlichen von den nur scheinbaren Symptomatiken zu unterscheiden.

 Dafür gab die seit mehr als 20 Jahren mit der rechtssicheren Diagnostik von Gewalt an Kindern befasste Dozentin dann anschaulich wertvolle Hinweise. Neben der Unterscheidung von typischen und eher untypischen Stellen am Körper, an denen Kinder sich gemeinhin Verletzungen zuziehen, machte Anette Debertin auch auf andere wichtige Kriterien aufmerksam. So sei etwa auch mit in den Blick zu nehmen, ob etwaige Verletzungen ein unterschiedliches Alter hätten, ob es fehlende oder widersprüchliche Erklärungsversuche vonseiten der Eltern gebe oder ob die gar Hinweise auf massive Verletzungen bagatellisierten bzw. abstritten. „Am Ende hilft immer nur fragen, fragen, fragen…“, betonte Debertin. Auch auf die Schwierigkeiten, einen sexuellen Missbrauch eindeutig festzustellen, verwies die Rechtsmedizinerin und appellierte an alle Anwesenden, sich im Zweifelsfall auch an das Hannoveraner Institut für Rechtsmedizin in der MHH zu wenden, um bessere Erkenntnisse zu bekommen. 

Wie aktiver Kinderschutz im Landkreis Holzminden unterstützt wird, machte im zweiten Vortrag schließlich Marion Kuntsch von der Koordinierungsstelle Kinderschutz deutlich. Die beim Projekt Begegnung angesiedelte Stelle sei vor vier Jahren bewusst nicht im Jugendamt selbst, sondern außerhalb der Verwaltung eingerichtet worden, um Berührungsängste zu nehmen. Mittlerweile werde die Beratung immer häufiger von Kita-Kräften, Lehrer*innen, ehrenamtlich Tätigen, Ärzt*innen oder Pflegepersonal angefragt. Die Koordinierungsstelle berate unverbindlich und helfe beim Finden der richtigen Ansprechpartner*innen. Sie sei kostenlos und anonym, die Fallverantwortung verbleibe immer bei dem Ratsuchenden selbst. Kuntsch verwies darauf, dass die Koordinierungsstelle zusammen mit den Frühen Hilfen des Landkreises einen Dokumentationsbogen erarbeitet habe, mithilfe dessen Beobachtungen erfasst werden können. Der sei, so Kuntsch, letztlich nur eine erste Grundlage, finden lässt er sich auf der Homepage des Landkreises unter dem Menüpunkt Jugend, Familie und Sport.    

Foto: Peter Drews/Landkreis Holzminden