Holzminden/ Höxter (kp). Wenn der große Weihnachtspäckchenkonvoi des Round Table die osteuropäischen Grenzübergänge erreicht, wird er anfangen, sich immer weiter aufzuteilen, so oft, bis am Ende von anfangs etwa 10 Bussen, 30 Lkw und circa 300 Tablern nur noch kleinere Gruppen übrig sind. Denn nur so würden alle Päckchen so zügig wie möglich verteilt werden können. Es sind Geschenkpäckchen, die den Kindern in den ärmsten Regionen Rumäniens, Bulgariens, Moldawiens und der Ukraine überreicht werden sollen, um ihnen eine Freude zu bereiten, so auch in fast genau vier Wochen, wenn der nächste Weihnachtspäckchenkonvoi losrollt. Und wie groß diese Freude tatsächlich ist, weiß Max Lüdeke aus erster Hand zu berichten. „Ganz oft ist es das einzige Geschenk, das die Kinder überhaupt je bekommen werden!“

Der 21-Jährige ist seit einem Jahr Tabler, seine erste Reise im Rahmen des Weihnachtspäckchenkonvois unternahm er allerdings drei Jahre zuvor. Stellvertretend für den Round Table Höxter-Holzminden hatte man ihn für die Moldawien-Route, die autonome Gegend im Süden des Landes, in und um Gagausien, eingeteilt. Im Einsatzgebiet angekommen, beginne die eigentliche Arbeit, nämlich das Beschenken der Kinder, das, wofür man die ganzen letzten Stunden, Wochen oder gar Monate geschuftet habe. „Allein die Reise im Konvoi ist eine unglaublich harte Tortur“, erklärt mir Max Lüdeke und gibt einen Einblick. „Bevor wir Moldawien überhaupt erreichen, werden wir bereits zweieinhalb Tage `Busleben´ hinter uns lassen müssen.“ Sobald die Tour in Deutschland beginnt, gebe es nur ganz kleine Pausen, bis man den vorgesehen Einsatzort erreicht, weiß der 21-Jährige. Die meiste Zeit verbringe man im Bus und versuche, irgendwie zu schlafen und anzukommen.

Doch erst einmal einen Schritt zurück: Start Holzminden, Ende Oktober!

„Eigentlich ist man irgendwie das ganze Jahr über mit der Planung des Weihnachtspäckchenkonvois beschäftigt“, erklärt mir der Präsident des Round Table Höxter-Holzminden, Thomas Wiesemann. Neben ihm sitzt Andreas Westbomke, Inhaber der gleichnamigen Bäckereikette. Wir drei haben uns Ende Oktober auf einen Kaffee in Holzminden getroffen, um über das Service-Projekt des „Table“ zu sprechen. Die Bäckerei Westbomke soll in diesem Jahr einer der großen Helfer des Round Table und des unterstützenden Lady Circle sowie des Old Table bei der Beschaffung von Weihnachtspäckchen sein.

„Naja, aber so richtig ins Rollen kommt es dann immer erst gegen Ende des Jahres“, führt der Präsident schließlich weiter aus. Gerade erst seien die ganzen Flyer und Plakate fertig geworden. Die Aktion könne nun, wie seit dem Startschuss im Jahr 2001, in die Öffentlichkeit getragen werden. Möglichst viele Menschen sollen sich angesprochen fühlen und Päckchen packen. „In Holzminden zum Beispiel machen alle Kindergärten und Grundschulen mit“, erklärt Wiesemann. „Kinder packen für Kinder“, sei hier das Motto.

„Mittlerweile aber bekommen wir auch große Unterstützung der hiesigen Unternehmen“, so der 38-Jährige. Mitarbeiter bei Symrise oder Stiebel Eltron beispielsweise, sollen bereits angekündigt haben, zuhause mit ihren Kindern Päckchen für den Konvoi zu basteln. In diesem Jahr wolle man jedoch alles etwas größer aufziehen und noch mehr Aufmerksamkeit für die gute Sache generieren. „Wir möchten nicht nur Firmen, alle Kindergärten und Grundschulen ansprechen, sondern auch alle anderen Menschen erreichen, die einen Teil beitragen und ein Päckchen bei uns abgeben wollen“, sagt Andreas Westbomke.

Die Idee sieht wie folgt aus: Seit wenigen Tagen ist es nun möglich, die für den Weihnachtspäckchenkonvoi gepackten Geschenke in jeder Westbomke-Filiale in den Kreisen Höxter und Holzminden abzugeben. Für jedes abgegebene Päckchen erhält der edle Spender eine Tüte mit zwei kostenlosen Brötchen. Doch das Marketing-Konzept von Andreas Westbomke setzt schon einen Schritt früher an: „Bei jedem Einkauf stecken wir dem Kunden den Flyer zum Weihnachtspäckchenkonvoi zuvor mit in die Brötchentüte.“ Der Flyer beinhaltet sämtliche Informationen, die der interessierte Weihnachtspäckchen-Packer wissen muss.

Die Päckchen können noch bis zum 22. November abgegeben werden. Geschenke, die in den Kindergärten gepackt werden, holen die Mitglieder des Round Table selber ab. Bereits einen Tag später werde alles zum Verladen zur TKN-Spedition gebracht, die allgemeine Sammelstelle des Round Table Höxter-Holzminden. Dann dauert es nur noch wenige Stunden, bis Vertreter sämtlicher „Tische“ aus ganz Deutschland in Koblenz zusammentreffen, um ihren großen Weihnachtspäckchenkonvoi zu bilden und sich auf ihre Reise zu begeben.

Zurück in Moldawien: Ein Trip, der verändert

Wenn sich der komplette Konvoi am Samstag, den 1. Dezember, gemeinsam auf den Weg macht, werde der „Süd-Trupp Moldawien“ Montagmittag in Gagausien ankommen, schätzt Max Lüdeke. Er selber wird nach vier Jahren in Folge dieses Jahr nicht dabei sein. „Ja, ich werde es definitiv vermissen“, antwortet er auf meine Frage, ob ihm trotz größter Tortur etwas fehlen wird, wenn er in diesem Jahr nicht Teil des Konvois sein kann. Nicht nur, dass während der gesamten Tour innerhalb des Konvois eine einzigartige familiäre Stimmung herrsche, jeder Trip halte zudem seine eigenen großen, emotionalen Momente bereit, erklärt der 21-Jährige.

Da sei zum Beispiel dieser eine Tag, sein erster in Moldawien überhaupt, als der damals 17-jährige Max Lüdeke mit seinem Konvoi Chisinau, die Hauptstadt des Landes, erreichte. „Das Ziel war ein Heim, in dem Kinder untergebracht waren, die von ihren Eltern ausgestoßen worden und zum Teil schwerstbehindert  waren“, erinnert er sich. Alles habe so karg ausgesehen, sagt er, draußen wie drinnen. Doch was er dann sehen sollte, habe ihn seither geprägt.

„Diesen Moment werde ich nie vergessen“, erinnert sich Max Lüdeke. „Man klemmte mir zwei Geschenk-Päckchen unter die Arme und schickte mich in einen dunklen Hinterraum. Als ich die Tür öffnete, lagen da zehn bis 15 Kinder auf ihren Matratzen. Alle zwischen drei und sieben Jahre alt. Und alle waren körperlich so stark behindert, dass sie nicht in der Lage waren, ihr Bett zu verlassen.“ Entweder, so beschrieb der damals 17-Jährige die Situation, haben die Kinder dermaßen stark verdrehte Körperteile gehabt, dass sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt waren oder Gliedmaßen fehlten ihnen ganz. „Das war wie der Einstieg in eine andere Welt.“  

Dann habe er einem siebenjährigen Jungen sein Geschenk überreichen wollen. Doch durch seine Behinderung habe der Junge sein Geschenk nicht selbstständig öffnen können. „Also tat ich es für ihn.“ Als er das Päckchen öffnete, betrachtete er den Inhalt, um dem Kind anschließend erklären zu können, was es bekommen habe, wie er sagt. „Ich dachte plötzlich, dass all das, was in diesem Karton ist, Spielsachen sind, die er nie würde benutzen können und vielleicht auch noch nie zuvor gesehen hat.“ Da seien zum Beispiel ein Flummi und ein Malbuch im Päckchen gewesen. Anschließend habe er dann noch ein kleines Kuscheltier an die Seite des Jungen gelegt. Und dann war da die Reaktion des Siebenjährigen, die ihn total überrascht habe.

„Ich weiß gar nicht genau, wie ich es beschreiben soll, aber aus der zuvor in diesem Raum herrschenden Totenstille entsprangen plötzlich die schrillsten Freudengeräusche, die ich so noch nie erlebt habe“, erinnert er sich. Immer und immer wieder habe sich der Junge in seinem Bett auf und ab gerollt, aufgeregt, irgendwie erweckt und er habe ständig versucht, mittels Kraft seiner Stimme und kleiner, schreiender Laute seiner Freude Ausdruck zu verleihen.

„Plötzlich stand mein Vater hinter mir und er sagte: `Schau mal, das ist das erste Geschenk, das er in seinem Leben bekommen hat und wahrscheinlich auch das letzte.´“

Als Max Lüdeke Tage später wieder in Beverungen angekommen war, habe er am selben Abend noch den Sternenmarkt besucht. „Da fing ich an, die Welt mit anderen Augen zu sehen.“ Die erste Maßnahme, die er getroffen hat: „Mein Wunschzettel zu Weihnachten hatte sich nach diesem Trip drastisch verkürzt!“

Text/ Foto: Kai Pöhl; Foto: Max Lüdeke